… die Lebendigkeit wieder zu entdecken
Was für ein Start ins neue Jahr. Meine Füße waren noch nie so eingecremt, meine Erdnussbutter noch nie so üppig aufgestrichen und mein Gemüse noch nie auf so großzügigen Mengen schneeweißen Backpapiers geröstet. Ihr lest vom Vorratsschrankverhalten einer Person, die bald von London nach Spanien umziehen wird. Alles muss weg. Wenn der bevorstehende Umzug mich dazu gebracht hat, meine Sparsamkeit in Sachen Vorräte über Bord zu werfen, ist das nichts im Vergleich zu der moralischen Verkommenheit, die in mir ausgelöst wurde, weil ich zu viel Zeit an einem Ort verbracht habe, den ich nur als die Manifestation der Hölle des 21. Jahrhunderts beschreiben kann – Facebook Marketplace – die Plattform, auf der ich den größten Teil dieses Monats versucht habe, meine gebrauchten Möbel zu verkaufen …
06. Januar
Der Tag, an dem die Heiligen Drei Könige dem Jesuskind angeblich Gold, Myrrhe und Weihrauch brachten, schien der passende Moment zu sein, um jedem, der in Fahrdistanz zu London N8 wohnt, ein ebenso großzügiges, wenn nicht sogar praktischeres Geschenk zu machen – meine gebrauchten Ikea-Möbel. Nach ihrem dreijährigem Leben in einem rauchfreiem, haustierfreiem, kinderfreiem, von-Putzmittel-besessenem-Freund Haushalt waren sie in tadellosem Zustand. Selbstbewusst lud ich meine Waren zu Preisen hoch, die knapp unter dem ursprünglichen Kaufpreis lagen, da die Ikea-Preise seit unseren Einkäufen in die Höhe geschossen waren.
Voraussichtlicher Gewinn: 1000 £
09. Januar
Ich bin nur knapp einem Betrug entgangen. Als naive Facebook-Marktplatz-Nutzerin dachte ich nicht daran, Fragen zu stellen, als mir jemand kurz nach dem Hochladen meiner Artikel eine Nachricht schickte und anbot, einen Haufen meiner teuersten Dinge zu kaufen, ohne nach weiteren Details zu fragen. Noch besser: Anstatt lange über den Preis zu verhandeln, bot er mir an, mich vor der Abholung der Möbel per PayPal zu bezahlen. Bingo! Zum Glück bin ich nicht nur ein Naivling, sondern auch technologisch-stark-verlangsamt und somit ohne PayPal-Konto. Der Aufwand, eins einzurichten, verzögerte den Deal gerade genug, dass ich über meine Ungeduld hinwegsah, Dinge loszuwerden und die Warnzeichen bemerkte.
Gewinne: 20 £ durch den Verkauf unseres schäbigen Bürostuhls an eine echte Person
Verluste: Glücklicherweise keine. Um einen Mausklick.
11. Januar
Eine Flut von „Ist das noch verfügbar“-Nachrichten, gefolgt von ohrenbetäubender Stille, zwang mich bald in Embryonalstellung zwischen meinen halb zerlegten Möbeln auf den Boden. Martkrecherche ergab: Mein wertvoller Küchentisch war noch 3 Mal auf Facebook Marketplace verfügbar, mein gemütlicher Korbstuhl 4 Mal und mein Laptopständer 2 Mal. Ikea trifft auf Metropole. Ich begann, meine Preise drastisch zu senken.
Gewinne: Eine Portion Demut
Verluste: Stunden in sinnfreien Gesprächen über die genauen Maße meiner Stühle, Spiegel und Bilderrahme. Infos, die alle IN DER ANZEIGE ANGEGEBEN waren.
15. Januar
Mehrere Leute erklärten sich bereit, Sachen abzuholen, sagten dann aber in letzter Minute ab. Zwei Wochen vor unserem Auszugstermin geriet ich in Panik. Was, wenn ich, anstatt reich zu werden, am Ende noch die örtliche Stadtverwaltung dafür bezahlen müsste, die Möbel abzuholen, die ich nicht verkaufen konnte? Ich begann, alle Art von Angebote für meine Sachen anzunehmen. Habe ich zugestimmt, eine im vierten Monat schwangere (wieso weiß ich das?!) Frau mit meinem Korbstuhl in einer Station der Northern Line zu treffen, während ihre anderen Babys im Kindergarten sind? Vielleicht, aber jemand, der nicht geschwängert war, bot an, die Sachen bei mir zu Hause abzuholen. Hatte ich etwa ein Gebot für einen Spiegel angenommen? Pech gehabt, jemand anderes war bereit, meinen Preis zu zahlen. Eine Nutzerin hatte bereits einen Mietwagen für die Abholung eines Teppichs am nächsten Wochenende organisiert? Meine Güte, jemand anderes hatte halt die Abholung am selben Tag angeboten. Ich werde als unhöflich bezeichnet, weil ich ein 10-Pfund-Teppich-Zusage zurücknehme.
Gewinne: 230 £
Verluste: Meine Integrität und Gewissheit darüber, was für eine Art Mensch ich bin.
19. Januar
Meine erste Fahrt zur Müllhalde mit Sachen, die ich nicht verkaufen oder spenden kann. Mein 10 Jahre alter Laptop, ohne den ich vor ein paar Jahren nicht leben konnte, segelte in einen schwarzen Container und krachte in den abblätternden Milchaufschäumer, ohne den ich meinen Tag zu einem anderen Zeitpunkt nicht hätte beginnen können.
Gewinne: Der Haufen der Dinge, mit denen ich mich befassen muss, wird kleiner.
Verluste: Das Gespür dafür, was Dinge Wert sind.
22. Januar
Als der Stapel mit den zu verkaufenden Dingen kleiner wurde, richtete sich meine Aufmerksamkeit auf die Dinge, von denen ich mich nicht trennen konnte und die ich deshalb nach Spanien transportieren musste. Kühlschrankmagnete voller Erinnerungen an die Orte, die wir gesehen haben. Geburtstagskarten, deren Glückwünsche sich sicherlich in Flüche verwandeln würden, wenn ich sie wegwerfen würde. Tagebücher voller Geschichten, die meiner Existenz Sinn geben. Als ich mich hinsetzte, um die Zollformulare für die Pakete auszufüllen, ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass es mir nichts ausmachen würde, wenn ein oder zwei Kartons im anhaltenden post-Brexit Zoll-Paket-Wirbel verloren gingen, sodass ich keine Entscheidung darüber treffen müsste, welche Sachen ich bis ins Grab tragen sollte.
Gewinne: Erinnerungen?!

Verluste: 60 £ Versandkosten und ein Wochenende, dass fürs Ausfüllen der Zollformulare draufgegangen ist.
23. Januar
Um eine Pause vom Umzugswahnsinn zu machen, begleitete ich eine Freundin zu einer 5Rhythms Tanzveranstaltung. Zwei Stunden lang strecke, recke, hüpfe, rolle, schwinge und drehe ich mich mit einer Gruppe der wildesten Leute barfuß in einer Kirche im Norden Londons über beheizte Holzböden und vor einen bemakrameeten Altar.
Gewinne: Die Energie, die Umzugskartons und Facebook-Marketplace-Entschuldigungen noch einmal in Angriff zu nehmen. Die Einsicht, dass ich am Ende des Tages nur sehr wenige weltliche Dinge brauche, um mich Herz-rasend, Blut-pumpend, breit-grinsend lebendig zu fühlen.

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