Mollete

Brötchen VON BEDEUTUNG

Ich würde behaupten, es gibt kaum etwas, das einen mehr dazu anregt, über die Zukunft nachzudenken, als das Knistern der digitalisierten Klassikmusik, die in der Warteschleife des britischen Renten-Callcenters läuft.

Beschwingt, nachdem ich einen Telefonroboter nach 20 Minuten intensiver Befragung davon überzeugt habe, dass ich tatsächlich der Mensch bin, für den ich mich ausgebe, und lieber mit einem anderen Menschen sprechen möchte, als die Rentenwebseite zu besuchen, kann ich nicht anders, als mir das Leben voller Luxus und süßem Nichts vorzustellen, das ich im Jahr 2061 führen werde. Ich sehe es vor mir. Mein ergrautes Ich, wie es sich in seinem Stammcafé zum zweiten Frühstück niederlässt, während alle anderen zur Arbeit gehen. Wie es die neusten Bibliothekschmöker hervorholt und ein paar Gedanken in ein Notizbuch schreibt. Und seit wir nach Andalusien gezogen sind, sehe ich auch das Mollete Andaluz, wenn ich an meine ideale Zukunft denke.

Das Mollete Andaluz ist ein kleines, helles Brötchen mit weichem Kern und einer feinen, aber knusprigen Kruste. Es stammt vermutlich aus der Römerzeit, hat seinen Ursprung in Antequera bei Málaga und wurde 1492 erstmals in einem Wörterbuch erwähnt. Bis heute wird es getoastet und zum Frühstück oder als Nachmittagssnack mit Butter, Olivenöl und Tomatenpaste oder Schinken gegessen.

Das beste Mollete in El Puerto de Santa María gibt es meiner Meinung nach im Rincón de la Marina

Warum, oh warum, ist dieses einfache Brötchen Teil meiner Ruhestandsfantasie? Werde ich verrückt, nachdem ich so viel Zeit in Warteschleifen von Callcentern verbracht habe? Vielleicht. Aber ich sehe das Mollete auch in meiner Zukunft, weil ich mir wünsche, dass mein Ruhestand von seiner Fluffigkeit erfüllt ist. Von der Art, wie Butter in den porösen Teig schmilzt, sein Inneres durchtränkt und den perfekten Kontrast zur goldbraun gerösteten Kruste bildet.

Hier ist das klassischste Mollete Frühstück abgebildet, zubereitet im Café La Lectora in Cádiz.

Und ich sehe es in meiner Rentenzukunft für seine Symbolkraft. Wenn es in meiner Zukunft ein Mollete gibt, bedeutet es, dass ich mich dem Diktat gesunder Avocados widersetzt und der Fetischisierung der ausgewogenen Ernährung den kohlenhydratreichen Mittelfinger gezeigt habe. Es bedeutet, dass Buddha Bowls und pochierte Eier, die selbst in diesem entlegensten Teil Europas die Frühstückscafés mit ihrer fotogenen Eintönigkeit überziehen, nicht alles erobert haben, sondern in friedlicher Koexistenz mit älteren, simpleren Optionen vorkommen. Das nenne ich ausgewogen. Ein Mollete auf meinem Frühstückstisch bedeutet, dass wir nicht alle Pflanzen getötet haben. Denn das ist Weizen schließlich. Ein Mollete in meiner Rente bedeutet, dass die globalen Handelswege weiterhin funktionieren. Spanien wird bis 2061 eine Wüste sein, also werde ich hier auf keinen Fall in Rente gehen und mein Frühstücksritual wird so Ergebnis solider Import-Export-Handelswege sein. Mollete: Energie, Hoffnung, Leben. Und dazu noch weich genug für alle dentalen Herausforderungen, die eventuell noch auf mich warten.

Plötzlich wird die Telefonleitung aktiv! Ein kurzer Austausch.

Ein Mollete bedeutet hoffentlich auch, dass einige heute erschwinglichen Dinge 2061 noch existieren werden (die gebutterte Mollete Variante mit Kaffee dazu kostet in meinem Stammcafé momentan 2,80€). Denn alles, was mehr als 3€ pro Tag kostet, wird definitiv über mein Rentenbudget hinausgehen …

Zeit fürs zweite Frühstück.