Ich träume von Schlaf
Die letzten Monate sind wie im Flug vergangen. Wärmere Nächte, Mückenstiche, Strandbesuche und eine Abendessenszeit, die aufgrund der längeren Tageslichtstunden immer näher gen Mitternacht rückt.



Aber schließlich haben wir es aus dem andalusischen Vorort rausgeschafft. Tatsächlich bin ich für den Sommer zurück in Großstädten. Zuerst Madrizzz (von Einheimischen mit einem Lispeln am Ende ausgesprochen). Wir wohnen seit Anfang Juni in der Wohnung einer Freundin. Als ich am Bahnhof Atocha in Madrid aus dem Zug stieg, legte sich das geschäftige Treiben des Sonntagnachmittags in einer Drei-Millionen-Metropole um mich wie eine zweite Haut. Eine dringend Nötige, nachdem ich mich wochenlang am Strandsand wundgescheuert hatte (ich weiß jetzt ein für alle Mal, dass ich NICHT in Strandnähe wohnen möchte).
Ich könnte von der Buchmesse und den Bibliotheken und Ausstellungen und kostenlosen Konzerten und Vintage-Läden erzählen, die wir in den letzten Monat oder so besucht haben. Oder von der Freude, ein Café zu entdecken, das Oatly-Hafermilch führt! Aber das wäre derselbe Kram, über den ich damals in London geschrieben habe. Außerdem fehlt mir die Energie, mit der nötigen Selbstironie zu analysieren, was meine Obsession mit einer bestimmten Haferdrink-Marke über mich aussagt. Stattdessen teile ich hiermit ein Portrait von Madrid in drei Teilen.
Madrid ist Sonntagsmesse auf dem Bürgersteig. Seit wir Anfang Juni zum ersten Mal aus der U-Bahn-Station Iglesia in unsere Straße einbogen, fühlt es sich an, als lebten wir in einem Tonic-Water-Werbespot. Der Weg zu unserer Haustür ist eine einzige Barterasse. Voluminöses Haar, wird über sonnengebräunte Schultern geschmissen, die aus zarten Leinenwesten in Beige und Weiß hervorlugen, kombiniert mit geschmackvollen Hosen – keine Flip-Flops und Knitterfalten weit und breit. Geradlinige Straßen säumen die Szenerie wie Kirchenbänke, eingerahmt von vierstöckigen Wohnhäusern mit schmiedeeisernen Balkonen. Selbst die U-Bahn ist sauber und ordentlich, meist halb leer und klimatisiert. Sonntag nachts schlafen wir mit dem Echo kostenloser Klavierkonzerte in den Ohren ein. Montags wachen wir mit dem Geschrei von Millionen Schwalben auf, die den babyblauen Morgenhimmel aufräumen, indem sie Mücken aus der Luft saugen.
Madrid ist wie ein getrockneter Hundschiss, verschmiert auf den rechteckigen Pflastersteinen, die die Bürgersteige der Stadt bedecken. Ein Hinweis auf die skatologischen Gewohnheiten, die die Bewohner der Stadt an den Tag legen, wenn niemand zusieht. Die meisten Wohnhäuser im Zentrum Madrids sind um einen zentralen offenen Patio herum gebaut. Diese Architektur + die unerträgliche Hitze (über 32 °C, seit wir angekommen sind) = zu viele akustische Informationen darüber, was passiert, wenn sich die Nachbarn hinter ihre cremefarbenen Fassaden zurückziehen. Ein Tag in unserer Wohnung hinter verschlossenen Türen, aber mit weit geöffneten Fenstern, präsentiert ein Echo aus Schnauben und Furzen und Husten und Räuspern, die bis in den Gemeinschaftsaufzug hallen und die wissende Stille füllen, wenn man mit einem Nachbarn ins Erdgeschoss fährt, den man gar nicht und doch allzu gut kennt. Die Unvermeidlichkeit eines Innenhofs.


Madrid ist ein ständiger Zustand des Schauderns. Schaudern vor Ekel, wenn winzige Tröpfchen fragwürdigen Kondenswassers aus den Klimaanlagen der Wohnhäuser auf nackte Arme tropfen, wenn man, an Hauswände gedrängt, die Straße zum Supermarkt entlangläuft, um auch den kleinsten Schatten auszunutzen. Schaudern vor Schreck, wenn man aus dem Haus tritt und die aufsteigende Hitze der Straße einen einschließt und brät wie in einem Tontopf. Schaudern, gefolgt von Frösteln, wenn man in einen 15 Grad kalten Bus steigt und sich fragt, wie man diesen glühend heißen Sommer nur ohne Erkältung überstehen soll. Und schließlich Schaudern vor Resignation, wenn einem klar wird, dass man auch diese Nacht nicht schlafen wird, während man endlos wechselst zwischen Klimaanlage einschalten, Fenster öffnen, Rollläden hochziehen, Rollläden herunterlassen, Klimaanlage ausschalten, Deckenventilator anmachen und Ohrstöpsel reinstecken – alles im verzweifelten Versuch, ein schlafförderndes Gleichgewicht zwischen der richtigen Zimmertemperatur und geringer Licht- und Lärmbelastung zu finden.

Ich glaube Dali hat viele schlaflose Sommernächte hinter sich. Wie sonst hätte er so perfekt darstellen können, was ich seit unserer Ankunft in Madrid erlebt habe? Foto von der Terraphilia-Ausstellung im Thyssen-Bornemisza. Meiner Lieblingsmuseum in Madrid.
Das Beste an Madrid ist jedoch, wie einfach es ist, alle Facetten und Ecken der Stadt zu navigieren. Man kann zwischen dem Kino in Originalsprache, dem Zahnarzt, dem Baumarkt, dem Kekscafé, dem Wellenbad, dem Fitnessstudio, dem Vintage-Laden und dem Supermarkt hin- und herwechseln – alles innerhalb von 15 Gehminuten. Und somit ist es egal, welche Katastrophen oder Freuden mir hier begegnen, ich kann sie mit einem Schritt vor den anderen meistern.