Lagertollheit

Von den Geistern meiner Minimalismusvergangenheit und Eierkochern

Ich habe selten ein niederschmetternderes Gefühl des Scheiterns verspürt als vor ein paar Wochen, als ich beobachtete, wie der kleinste Wassertropfen langsam an die Spitze der Plastikabdeckung meines Eierkochers stieg und durch ein winziges Belüftungsloch verdunstete, nachdem er seinen Teil zur Herstellung des perfekt hartgekochten Eies beigetragen hatte. Denn mit diesem häuslichen Dampfstrahl verpuffte auch der letzte meiner hochtrabenden Ansprüche meinen materiellen Fußabdruck so gering wie möglich zu halten. Geopfert auf dem Frühstücksaltar eines krümeligen (bitte, danke!!) Eigelbs.

Bis vor Kurzem war Minimalismus nichts, was ich praktizierte oder vertrat, sondern etwas, das ich aus purer Notwendigkeit tat. Zwischen meinem 19. und 28. Lebensjahr hauste ich in 10 verschiedenen Wohnungen. Man kann all seine Sachen nur eine begrenzte Anzahl von Malen packen und physisch tragen, bis man anfängt, sich zu fragen, ob die waldgrüne Puzzlematte und der lilafarbene Schokobrunnen wirklich unverzichtbar für das eigene Wohnglück sind.

Selbst als ich mit meinem Freund in eine dauerhaftere Bleibe zog, war ich stolz darauf, dass wir nur eine Frühstücksschüssel und vier Gläser hatten. Ich liebte das Gefühl, alles zu benutzen, was wir besaßen.

Der Sog des Stauraumstrudels

Der Anfang vom Ende meiner spartanischen Ideale kündigte sich durch ein griseliges Video an. Bei einer Fernbesichtigung unserer aktuellen Wohnung deutete der Immobilienmakler begeistert auf die Schränke, die in die Schrägwände eingebaut waren, und bezeichnete sie als „großartige Stauräume“. Mein 2 Meter großer Freund würde in keinem unserer Zimmer aufrecht stehen können, aber warum sollten wir uns darüber Sorgen machen, wenn er problemlos in diese gemütlichen Schränke passte, zusammen mit allen Haushaltsgeräten, die ich mir nur erträumen konnte.

Und so kamen Jahre des unschuldigen „mal eben Wegräumens“. Ich glaube, wir hätten auch munter so weitergemacht, wenn mein Freund nicht beschlossen hätte, nach Spanien zurückzuziehen, was eine überfällige Abrechnung mit unserem „Aus den Augen, aus dem Sinn“-Aufbewahren einläutete. Da wir in absehbarer Zukunft unsere Zeit zwischen Spanien und Großbritannien aufteilen werden, mussten wir all unsere Sachen durchgehen, um deren zukünftigen Aufenthalshort zu bestimmen. Was wir nicht vorhergesehen hatten war, wie viele Sachen wir an keinem der beiden Orte haben wollten und wie schwierig es sein würde, sie loszuwerden!

Es mag euch überraschen, aber niemand will unseren tollen Lagerkram. Facebook Marketplace, Gumtree, wir haben alle Verkaufsplattformen ausprobiert. Ich verstehe, dass es vielleicht kein großes Interesse an einem Duschhocker gibt, der gekauft wurde, um mit einem Gipsbein eine sichere Körperhygiene zu gewährleisten, aber selbst einmal getragene, weil zu kleine Dr. Martens für einen Bruchteil ihres ursprünglichen Preises erregen nur ein müdes Interesse potentieller Käufer. (Vorhersehbarerweise ist der Artikel, der mehr nackten Hintern gesehen hat, der, zu dem wir mehr Anfragen erhalten 🍑👀).

Meine minimalistische Identitätskrise gipfelte in unseren letzten Packtag. Der Eierkocher war nur die plastikkugelige Spitze des Eisbergs. Ich habe genug von ALLEM, um problemlos an zwei Orten zu leben. Um mit dem Schock fertig zu werden, machte ich mir gleich noch einmal die Minimalismus-Dokumentation an, die mein asketisches Erwachen eingeleitet hatte. Als der typische US-College-Boy in seinen Zwanzigern mit einer Tasche und den 60 Teilen, die sein gesamtes Hab und Gut ausmachen, in die Kamera grinste und stolz verkündete, dass er die letzten Jahre „obdachlos“ gewesen sei, begann ich zu verstehen, wie abschreckend offene Belehrung zum Minimalismus wirken kann. Und dennoch, trotz ignoranter College-Jungs schwörte ich, dass in unserer Wohnung in Spanien alles anders sein würde.

Neue Wohnung, neues Ich

Als wir letzte Woche endlich in unserer neuen Zweitbleibe ankamen, verfrachtete ich direkt die Deko-Grundausstattung jeder Strandferienwohnung (blaues Seestern-Glasornament + Potpourri + ein hölzernes Schild mit der Aufschrift „Traum“) und ein Hirsch und Reh Wasserfarbengemälde (okay, skurril!) in den hinteren Teil eines Schranks. Und ich muss sagen, die Wohnung kam dem Idealbild, das ich in der oben erwähnten Dokumentation gesehen hatte, erfreulich nahe. Stauräume ade!

Der erste Minimalismus-Realitätscheck kam merkwürdigerweise von unserer neuen Toilette. Bei meinem ersten Gang aufs Klo wurde ich von einem zusätzlichen Wasserfall begrüßt, der aus dem Wasserkanister austrat. Es sah so aus, als würde die Toilette die Zunge herausstrecken, und sagen: „Sich selbst als obdachlos zu bezeichnen, um zu unterstreichen, wie minimalistisch man lebt, ist großartig, wenn man das Geld hat am Ende des Tages in ein Hotel mit funktionierender Wasserspülung einzuchecken.“ Was mich allerdings (buchstäblich) kaputt machte, war der Kartoffelschäler mit nur einer Klinge (siehe Bild unten). Wiederholte Versuche an meinem Vorsatz festzuhalten nicht Neues zu kaufen, führten dazu, dass ich einen beträchtlichen Teil meines Ringfingers opferte. Minimalismus-Realitätscheck Nr. 2: Bei Gesundheitsrisiken und Nebenwirkungen hört der Spaß auf.

Das Gruselkabinett für Minimalisten

Schließlich gestand ich mir meine Niederlage ein und fuhr mit meinem blutigen Finger in ein Geschäft mit dem wohlklingenden Namen „Decofiesta“, um ein sichereres Schälgerät zu kaufen. Und es war eine Fiesta … Wenn meine neue vorübergehende Unterkunft ein schüchterner Schrein für die Ästhetik des Minimalismus darstellte, dann war Decofiesta das, was man bekommt, wenn die gesamte überflüssige Plastikproduktion der Welt zusammenkäme, um auf dem Grab des Minimalismus einen Stepptanz zu vollführen. Nähgarn, Stricknadeln, Sitzkissen, Plastiktischdecken, Toilettenbürstenhalter, Löffel, Pfannen, Glitzerstifte, Halloweenmasken, Seifenspender, Tischsets, Quetschbälle und mehr, alles erhältlich in Lila, Rot, Rosa, Zitrone, Eidottergelb, Orange, Kiwi, Waldgrün, Aquamarin, Babyblau, Türkis, Anthrazit, Beige, Senfgelb, Dunkelbraun und Schwarz für weniger als den Benzinpreis, den ich für die Fahrt ins Geschäft bezahlt hatte.

Schwankend unter der Last unserer kollektiven Überproduktion von Wegwerfartikeln schnappte ich mir nach 37 (!!!) Minuten des Herumirrens den ersten Kartoffelschäler, den ich finden konnte, und eilte zurück in mein dekofreies Heim, wobei ich schwörte, nie wieder an diesen Ort zurückzukehren. Und doch kann ich das Decofiesta-Erlebnis nicht ganz abschütteln. Es verfolgt mich bis spät in die Nacht. In meinen Träumen irre ich noch immer endlos durch die mit Millionen von Artikeln übersäten Gänge, für immer auf der Suche nach dem einen Ding, das ich wirklich brauche. Die einzigen Geräusche sind mein flacher Atem, der von meinen dekofreien Wänden wiederhallt und das gelegentliche Piepen einer Kasse.

Frohes Halloween nachträglich …