Beobachtungen über Amsterdam von einer Menstruierenden
Tag 1 Ich dachte, ich hätte eine ziemlich solide Rangliste aller Orte, an denen ich nicht meine Periode bekommen möchte. Ein Zug der Deutschen Bahn auf einer siebenstündigen Fahrt von Berlin nach Amsterdam mit seinem wackelnden Toilettensitz und ewig unzureichenden Toilettenpapiervorräten stand beispielsweise früher ziemlich weit oben auf dieser Liste. Das war so, bis mich besagter Zug zu der wunderschönen Wohnung meiner Kollegin am Rande von Amsterdam-West brachte, wo mein Freund und ich den Rest des Augusts verbringen würden. Ihre Wohnung ist gemütlich, lichtdurchflutet und luftig. Und ein Albtraum in weiß für jede Menstruierende. Während ich spürte, wie Blut in meine Damenbinde floss, fiel mein Blick auf weiße Handtücher, weiße Bettlaken, ein weißes Sofa – die Tatsache, dass ich möglicherweise auch andere Sachen als meine Eigenen zusauen würde, verlieh dieser monatlichen Episode einen unnötigen Adrenalinschub.

Tag 2 Das Tolle an der Arbeit von zu Hause aus ist, dass man sich ohne Bedenken Windel-ähnliche Hygieneartikel umschnallen kann, während man sich an an eine Hochzeitstorte von einer Wohnung gewöhnt.
Tag 3 Als ich mich auf die Straße hinauswagte, die ich in den nächsten vier Wochen mein Zuhause nennen würde, beschlich mich die Vermutung, dass die Leute hier vielleicht einfach keine Periode bekommen. Der einzige allgegenwärtige Fluss, den ich wahrnehmen konnte, war der von schlanken Zweiradfahrerinnen in weiß-beigen Baumwollhosen im Pyjama-Stil, die an niedrigen Gebäuden vorbei, über Kanäle und unter üppigem Bäumen hindurchsausten, ohne dass ein Tamponbändchen in Sicht war.

Tag 4 Was ich jedoch deutlich sehen konnte, war die übliche Stigmatisierung, wenn es um die Menstruationsprodukte im Supermarkt geht. Von allen Produkten, die in verschiedenen Größen erhältlich sind, sind Periodenprodukte die einzigen, die die Klassifizierung „normal“ tragen, was jede Person, die ein saugfähiger-als-normales Produkt benötigt, in einen abnormalen Abgrund der Unsicherheit stürzt. Diese Denormalisierung erstreckt sich auch auf die Bereitstellung von Periodenprodukte. Wie kann es sein, dass in den meisten Toiletten Toilettenpapier, Handseife und Papierhandtücher vorhanden sind, Menstruationsprodukte aber nicht? Bei 800 Millionen Menschen, die gleichzeitig auf dieser Erde menstruieren, ist die Periode so normal wie ein Stuhlgang. Und trotzdem werden Hygieneprodukte unterschiedlich behandelt. Und damit haben wir noch nicht einmal von Besteuerung gesprochen. In den Niederlanden gibt es drei Mehrwertsteuersätze: 21 %, 9 % und 0 %. Während Sportwetten, von allen Dingen, mit 0 % Mehrwertsteuer belegt sind, muss ich hier an der Kasse jedes Mal 9 % Mehrwertsteuer berappen, nur für das Vergnügen, am Leben und für mein Alter bei guter reproduktiver Gesundheit zu sein.

Tag 5 Bei einem Wiedersehensessen mit Kolleginnen, die zufällig auch in Amsterdam waren, wurde mir ein weiteres menstruationsbeschwerendes Merkmal dieser Stadt bewusst: ihre Enge. Auf dem Weg zum Restaurant ging ich an schmalen Gebäuden vorbei, stieg kurze Stufen hinunter und landete schließlich in den winzigen Toiletten unseres Restaurants. Lasst euch gesagt sein, eine Damenbinde auf engstem Raum zu wechseln ohne sich die Nase einzuhauen oder die Toilettenkabine so zu verlassen, als wäre Hannibal Lecter zu Besuch in der Stadt war ein Kampf. Später erfuhr ich, dass die Häuser in Amsterdam tendenziell schmal sind, weil sie früher nach der Breite des Kanalabschnitts besteuert wurden, den sie einnahmen. Nach meiner Hasstirade oben, sollten sie also eigentlich wissen, wie ich mich fühle!

Tag 6 An meinem sechsten Tag in Amsterdam konnte ich endlich die wohltuende Wirkung der Stadt genießen. Amsterdam ist ein wahres Paradies aus Keksen, Waffeln und Schokolade. Nach zahlreichen Experimenten kann ich berichten, dass es, egal wie stark die Blutung ist, in der Regel sofort beruhigend wirkt, wenn man vor einer Chocolaterie sitzt.

Tag 7 Angespornt von meinen Streifzügen durch Amsterdams Schokoladenläden machte ich mich erneut auf den Weg, diesmal um durch Amsterdams Secondhand-Läden zu schlendern. Ich wage zu behaupten, dass Amsterdam die höchste Vintage-Läden-Dichte pro Kopf aller europäischen Hauptstädte hat! Praktisch, falls man mal günstig blutbefleckte Kleidung ersetzen muss. Dort, in der Ecke eines Ladens jenseits des belebten Grachtenrings, hörte ich die Engel singen. Wie vom Blitz getroffen, sah ich ein Kleidungsstück, von dem ich nicht wusste, dass ich es brauchte, das ich aber sofort haben musste, als ich es entdeckte. Ein dunkelgrauer, hoch taillierter, bodenlanger Samtrock mit einem handgenähten französischen Etikett, das sich wie ein Sicherheitsturm um meine Beine schloss, gewappnet für alle möglichen zukünftigen Menstruationsdesaster. Amsterdam, ich bin bereit!
Es fühlt sich irgendwie komisch an über meine Periode zu schreiben. Aber die Periode zu bekommen, egal wie stark, sollte nichts Schambehaftetes sein. Das Komische daran, sie zu benennen, rührt meistens von den häufig nicht menstruierenden Menschen dieser Welt, die sie zu etwas Komischem machen. Ein erneuter Blick auf Rupi Kaurs Bilder über Menstruationsblutungen, das vor einigen Jahren in den sozialen Medien verboten wurde, gab mir den endgültigen Schubs auf ‘Senden’ zu drücken. Schaut es euch an, falls ihr es noch nicht kennt.