Farruca

Für alle wütenden Frauen in meinem Leben

Ein feuerroter Schal. Fransen, die durch die Luft peitschen. Haut, die sich unter schwarzen, gerunzelten Brauen, kräuselt während ein Schrei, heiser und entschlossen, durch den verdunkelten Saal dringt. Ich präsentiere: die Farruca.

Diesem Begriff, der so viel wie „aufsässig, bockig“ bedeutet, begegnete ich zum ersten Mal, als ich im alljährlichen Theaterstück meiner Spanischfakultät eine Sexarbeiterin spielte. Meine Figur war oft wütend und benutzte diesen lautmalerischen Begriff nach Belieben, um ihren emotionalen Zustand zu beschreiben. Seitdem habe ich Dutzende Spanier in Hysterie versetzt, wenn ich dieses Adjektiv benutze, um meine Stimmung zu beschreiben, wenn ich mal wieder unter der andalusischen Hitze / Bürokratie / Gemüsemangel leide – weil es aus dem Mund einer Ausländerin komisch klingt. Das humorvolle Element hilft mir auch, meine Scham darüber zu überspielen, meinen Herausforderungen nicht mit mehr Anmut begegnen zu können. Seit meinem Umzug nach Spanien habe ich jedoch gelernt, dass denen mit diesem Begriff umschriebenen Momenten weiblicher Wut auch ihre ganz eigene Schönheit innewohnt.

Farruca = aufsässig, bockig und vieles mehr

Um „Farruca“ vollständig zu verstehen, muss man über die wörtliche Übersetzung des Begriffs hinausgehen und wissen, dass es sich auch um eine Form des Flamencos handelt, die im späten 19. Jahrhundert entwickelt wurde. Traditionell wird sie von Männern vorgeführt, aber ich habe sie von Frauen getanzt gesehen und lieben gelernt. Bei traditionellen Flamenco-Aufführungen tanzt die Tänzerin nicht zur Musik, sondern die Musiker folgen den Bewegungen der Tänzerin, wenn sie hinterherkommen. Ich habe noch nie eine andere Tanzart gesehen, bei der eine Solotänzerin die Bühne so beherrscht. Zu Beginn eines Liedes tritt eine einzelne Figur ins Rampenlicht und bewegt sich oft mit nervenaufreibender, bockiger Langsamkeit vorwärts. Wenn sie beschlossen hat, dass das Publikum zusehen darf, während sie sich eine Minute Zeit nimmt, ihren linken Arm in die Luft zu heben, dann ist das halt so. Sie hat das Sagen. Dieser Raum gehört ihr. Gleichzeitig spürt man eine latente Energie. Ihre Wucht kann jeden Moment über die Zuschauer hereinbrechen und von einem langsamen Voranschreiten in eine Abfolge explosiver Bewegungen ausbrechen: Klatschen und Schuhklopfen, arrhythmische, scharfe Drehungen und Wendungen, die durch die Luft schneiden. Sie rafft ihre Röcke nicht, um den männlichen Blick mit ihrer bloßen Haut zu erfreuen, sondern damit ihre Beine mehr Platz haben, um diesen Ort dem Erdboden gleichzumachen. Blitze von Nacktheit als Nebenprodukt ihres Selbstausdrucks. Im Wechsel zwischen gemessenen Bewegungen und schnellen Kombinationen steigert sich die Performance meist zu einer frenetischen Ekstase, in der die Tänzerin mit ihren schnellen Fußbewegungen den Boden zerstört und siegreich, stolz, als Königin die Bühne verlässt.

Das ist es, woran ich denke, wenn ich Farruca sage.

Niemand würde es wagen, DER Manuela Carrasco zu sagen, sie solle verdammt noch mal lächeln (und falls sich jemand fragt, wie man „farruca“ ausspricht, hört in Minute 7.31 genau hin).

8M

Diese Farruca Energie war auch spürbar, als ich letzte Woche in Madrid war, zufällig zum 8M (der, wie ich finde, viel coolere Name für den Internationalen Frauentag hier in Spanien: 8M = 8. März). Demonstrierende Frauen strömten in die U-Bahn und auf die Straßen. Die 8M-Hymne „Canción Sin Miedo“ über Wut und Solidarität als lila-gekleidete fleischgewordene Offenbahrung.

🎶 1.21 Yo todo lo incendio, yo todo lo rompo / Si un día algún fulano te apaga los ojos / Ya nada me calla, ya todo me sobra / Si tocan a una, respondemos todas’ // Ich brenne alles nieder, ich zerstöre hier alles / Wenn eines Tages irgendein Idiot dir das Augenlicht raubt. / Nichts bringt mich zum Schweigen, ich hab es so satt. / Wenn sie nur eine von uns anrühren, bekommen sie es mit uns allen zu tun. 🎶

Schon der Klang mancher Wörter der spanischen Sprache, das „jota“ in „justicia“ oder das rollende „r“ in „rompo“, scheint idel geeignet, um den Speichel im Rachen zu sammeln, bevor man denen ins Gesicht spuckt, die Frauen jahrhundertelang klein gehalten haben. Bis Oktober 2024 wurden in Spanien im vergangenen Jahr 39 Frauen aufgrund geschlechtsspezifischer Gewalt getötet. Im europäischen Feminizidranking liegt Spanien nach Italien, Frankreich und Deutschland an vierter Stelle. Manche Dinge sind es wert, farruca zu werden.

Huguette Caland

Nach einer emotionalen Woche zog ich mich vor meiner Rückkehr nach Cádiz in den ruhigen vierten Stock des Reina-Sofia-Museums in Madrid zurück und stieß dort auf die Sonderausstellung „En pocas líneas“, eine Retrospektive der libanesischen Malerin und Bildhauerin Huguette Caland. Meine Augen sogen gierig ihre Pastellfarben und runden Formen auf, nach den endlosen Braun- und Schwarztöne von Goya und Velaszquez, die hier Ausstellungsräume dominieren (Merke: mein Interesse für düstere Aristokraten und leidende Jesusfiguren ist begrenzt). Es wäre naheliegend, sich darauf zu konzentrieren, wie Calands Formen an Hintern, Brustfalten usw. erinnern, aber ich mag ihre Bilder, weil sie etwas einfangen, das mich auch an Farruca und Manuela Carrasco anspricht. Sie dominieren den Raum. In Pastell. Kraftvoll. Für mich ist gerade diese Kombination, das, was ihre Schönheit ausmacht.

🎵 Cantamos sin miedo, pedimos justicia / Gritamos por cada desaparecida / Que retumbe fuerte: ¡Nos queremos vivas! / ¡Que caiga con fuerza el feminicida! / ¡Que caiga con fuerza el feminicida! // Wir singen ohne Angst, wir fordern Gerechtigkeit / Wir schreien für jede Verschwundene / Man soll es hören: Wir wollen einander lebendig / Auf das der Feminizid zerschellt! / Auf das der Feminizid zerschellt! 🎵