Guiri

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el / la guiri: Der Begriff wird oft scherzhaft verwendet, manchmal aber auch abwertend aufgefasst und bezeichnet ungehobelte ausländische Touristen, insbesondere solche mit nordeuropäischem Aussehen.

Der Strand ist voller Touristen. = La playa está llena de guiris.


Ich begegnete dem Begriff „Guiri“ zum ersten Mal, als ich während meines Romanistikstudiums für ein Auslandsjahr nach Madrid zog. Da ich fest entschlossen war, mich anzupassen, kam es mir als größte Beleidigung vor, als „Guiri“ bezeichnet zu werden. Schon beim kleinsten Sonnenstrahl im Bikini im Madrider Retiro-Park herumzulaufen, peinliche Sightseeing-Kleidung zu tragen, spät abends betrunken von minderwertiger Sangria auf die Straße zu reihern und den Einheimischen das Leben mit einer lautstarken und dreisten Jagd nach dem „wahren Spanien“ unerträglich zu machen – all das waren typische Merkmale eines „Guiris”, die ich absolut vermeiden wollte. Und dennoch …

Der sicherste Weg, um herauszufinden, wie sehr man Guiri ist, ist die quasi-wissenschaftliche Messung des Verhältnisses von freiliegender Haut zu Temperatur. Die Guiri-Skala steigt proportional mit jedem Zentimeter weißer Haut, der bei immer niedrigeren Temperaturen sichtbar ist. Der Höhepunkt der Guiri-Skala ist das Tragen eines Sommerkleides mit Spaghettiträgern oder ein Bad im Meer bei 18 Grad Celsius oder darunter. (Ein Beispiel: Letzten Monat nahm ich an einem sonnigen Frühlingstag bei 25 Grad Celsius an einer Stadtführung teil. Zwei Gruppen starteten gleichzeitig, eine auf Englisch und eine auf Spanisch – also eine in Shorts-tragende und eine in Daunenwesten-tragende Gruppe…).

Auch wenn ich es tunlichst vermied während meines Auslandsjahres unschuldige Madrilenen mit meiner blassen Haut zu blenden, konnte ich nicht leugnen, dass ich einen gewissen Guiri-Drang verspürte. Meine Kindheit in Nordwestdeutschland und zwei Studienjahre in Schottland hatten eine kleine Stimme in meinem Kopf gepflanzt, die jedes Mal unruhig wurde, wenn die Sonne schien: „Geh raus. Nimm das Vitamin D auf. Du weißt nie, wie lange das anhält.“ In Spanien weiß man das jedoch schon. Nach einer Woche Sonnenschein. Und dann noch einer. Und dann noch einer, schaffte ich es schließlich, den Drang zu zähmen, mich an jedem Tag mit blauem Himmel horizontal auf den nächsten Grünstreifen zu schmeißen. Nachdem ich ein Jahr lang cool geblieben war, kam der ultimative Ritterschlag: Eine SpanierIN (!) fragte mich nach dem Weg, weil sie mich für eine Einheimische hielt.

Wie eine Einheimische da: Vorhandensein von Sonnenschein und gleichzeitige Abwesenheit freiliegender Knöchel

Ein Jahrzehnt später könnte man sagen, dass ich meine De-Guirifizierung etwas übertrieben habe. Nach einem nicht ganz freiwilligen, familienbedingten Umzug nach Andalusien verwandelte ich mich vom Guiri zum Griesgram und weigerte mich, die Schönheit all dessen zu sehen, was mich umgab. Und so suhlte ich mich und klagte und klagte und suhlte mich und kam nicht aus meinem Selbstmitleid heraus.

Als ich finster das Fotoshooting einer Kreuzfahrttouristengruppe neben einem Mülleimer (warum?!) im Zentrum von Cádiz beobachtete, dämmerte es mir. Dieses Mal musste ich mehr Guiri sein, nicht weniger! Man kann viel über die Probleme des Übertourisms in Spanien sagen, aber was bei all der Guiri-Schelte oft übersehen wird, ist die bewundernswerte, ungezügelte Begeisterung, mit der Guiris selbst die schlechteste Paella zelebrieren.

Am darauffolgenden Wochenende hieß es also: „Bring meine innere Guiri zurück!“. In Vorbereitung auf meinen Besuch der archäologischen Stätte „Italica“ in der Nähe von Sevilla (ein Ort zweier wichtiger Ereignisse für die menschliche Zivilisation: 1) die Ansiedlung der Phönizier und 2) Drehort von „Game of Thrones“), stattete ich mich mit den wichtigsten Guiri-Utensilien aus:

  • Weniger Kleidungsstücke, als die meisten Spanier an einem Frühlingstag tragen würden
  • Digitalkamera
  • Rucksack
  • Sonnenbrille
  • Baseballkappe
  • Ein manisches Grinsen gepaart mit einem stets suchenden Blick nach DEM Motiv für einen Urlaubsschnappschuss.

Fiel ich in der 20-köpfigen Gruppe Weste-tragender Spanier etwas auf?

Ja, das tat ich.

Habe ich 20-mal mehr Fotos gemacht als alle anderen?

Sí, Señor.

Aber wenigstens hatte ich wieder Spaß. Am Ende des Tages wusch ich mir die letzten Reste meiner Mürrischkeit mit einem Bad im Märzmeer ab. Mit den Wellen, die an meine marmornen Oberschenkel schwappten, war meine Guiri-Wiedergeburt vollkommen. Andalusien, mach dich auf was gefasst!