Friendchazo

Wie frau in ihren Dreißigern neue Freunde gewinnt

el flechazo: Liebe auf den ersten Blick (benutzt man normaleweise mit Bezug auf romantische PartnerInnen oder Dinge)

Fue un flechazo. – Es war Liebe auf den ersten Blick.

Ich will Freund finden hier in Cádiz. Merke wie ich nicht wiederstehen konnte ‘hier in Cádiz’ am Ende des Satzes hinzuzufügen. So als müsse ich klarstellen, dass meine soziale Isolierung nicht über die Stadtgrenzen hinausreicht. Ich habe Freunde. Sie wohnen halt woanders. Okay, nun da ich mich ein wenig vor der sozialen Ächtung, die mit einem mangelnden sozialen Netzwerk einhergeht geschützt habe, auf zum Hauptthema…

Eine meiner frühsten Kindheitserinnerungen ist davon, wie ich meine beste Freundin fürs Leben zum ersten Mal gesehen habe. Sie lugte hinter den Beinen ihrer Mutter hervor, die sie zum selben Tanzkurs wie mich anmeldete. Lebenslanger Pakt besiegelt. Mein 4-jähriges Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, dass sie noch einmal mit leichter Wehmut an die Leichtigkeit dieser ersten Freundschaftsschließungen zurück denken wurde. Freundschaften passierten einfach.

30 Jahre später. Nach meinem Umzug nach Cádiz im September war ich erstmal ziemlich Freunde-los. Man konnte die lokale Bevölkerung in drei Gruppen einteilen 1) 20-jährige Erstis und Erasmusstudenden, die ihre Freiheit und Jugend in den örtlichen Bars feiern (Dafür war ich schon zu alt, als ich noch 20 war). 2) Amerikanische Expat-Rentner, die in Cádiz aufgrund globaler Einkommensdiskrepanzen wie Könige lebten (Dafür war ich nun zu jung und aufgebracht). 3) Menschen, in meinem Alter, die nie von hier weggezogen sind, sich eine Familie aufgebaut haben und tief in ihren lebenslangen Familien- und Freundschaftsbeziehungen verwurzelt sind (Dafür bin ich zu kinderlos). Dazu kam noch, dass ich weder zur Arbeit, zur Uni oder zu sonst einer Aktivität ging, die Zufallsbegegnungen begünstigen könnte. Also wenn ich wollte, dass sich irgendetwas an der Freundesfront tat, musste ich proaktiv werden.

Meine erste Freundessuche folgte einer bizarren romantischen Logik. Genauso wie damals, als ich anfing zu daten, traute ich mich erst nur Leute anzusprechen, von denen ich vermutete, dass sie eh nicht interessiert sein würden. Die Verkäuferin, Rosa, die keine Möglichkeit hatte meinem freundlichen (= verzweifeltem) Geplänkel zu entfliehen. Die zwei 17-Jährigen hinter mir in der Schlange zur Pilatesstunde. In all diesen Interaktionen eignete ich mir den lokal typischen Lispel-sound an, um mich durch meine Aussprache von den anderen Expats, die nur für ein paar Monate Sonne nach Cádiz kamen, zu differenzieren. Als ob das meine blasse Haut und die Tatsache, dass ich die meisten Leute hier um eine Kopfeslänge überragte wettmachen könnte. Als eine Frau FLUCHTARTIG das Kino verließ, neben die ich mich für ein Filmfestival gesetzt hatte, wahrscheinlich damit ich nicht auf die Idee kam sie nach ihrer WhatZZZappnummer zu fragen, wurde mir klar, dass meine Strategie nicht funktionierte.

Auf der Suche nach Verbindungen wie diesen besuchte ich die gratis Ausstellungen von Cádiz.

Aufgeben war auch keine Lösung, wenn ich nur die geringste Chance haben wollte, hier in Cádiz ein bisschen Glück zu finden. Ich könnte jetzt unzählige psychologische und soziologische Studien zitieren, deren Erkenntnisse meine Sichtweise auf dieses Thema geprägt haben, und behaupten, dass sie im Großen und Ganzen alle zum selben Schluss kommen: „Wenn ein bestimmtest Einkommensniveau erreicht ist, hängt die Qualität deines Lebens von der Qualität deiner Beziehungen ab.“ Es gibt keine festgelegte Anzahl an Freunden, die man braucht, um glücklich zu sein. Es geht vielmehr darum, das Gefühl zu haben, die von sich gewünschte Anzahl an Freunden zu haben, was auch immer das für einen selbst bedeuten mag. Für die meisten ist es jedoch mehr als 0. Immer wenn ich jedoch etwas über diese Studien lese höre, fällt mir eine Anekdote ein, die diesen Punkt perfekt verdeutlicht. Holt die Violinen raus!

Ich erinnere mich, wie ich vor ein paar Jahren mit einer Freundin in einer Pizzeria saß und so vertieft in unser Gespräch war, dass ich alles vergaß: meinen Hunger, dass ich dringend auf die Toilette musste, dass die Angestellten schließen wollten. Ich weiß nicht einmal mehr, worüber wir gesprochen haben, aber ich erinnere mich ganz klar an ein Gefühl – als ob ich mich endlich in ganzer Größe entfalten konnte. Unter dem Blick meiner Freundin, die mich in meiner ganzen manchmal-kleinlichen, pseudo-philosophischen, pizzaverrückten Pracht sah. Ein Ich, befreit von den Rollen, in die wir uns den ganzen Tag zwängen. Ich lebe für solche Momente!

Echten Freunde kann ich sogar meine Tupperdose zeigen.

Ich spreche zwar fünf Sprachen, aber ich habe noch keine gefunden, die die Worte bereithält, um die Liebe zu meinen Freunden in diesen Momenten auch nur annähernd akkurat zu beschreiben, ohne dabei direkt irgendwelche lesbischen Fantasien auszulösen oder Fragen nach meinem Beziehungsstatus aufzuwerfen. Kurze Info: Mein Freund und meine Freundinnen stehen nicht in Konkurrenz zueinander! Ich bin eine bessere Partnerin und Freundin, weil ich sie alle in meinem Leben habe! Der Titel dieses Beitrags ist nur ein kläglicher Versuch, ein Wort zu finden, das diese Gefühlswucht irgendwie einfängt. Er kombiniert das spanische „flechazo“, angelehnt an das Bild von Amors Pfeil (flecha), der den Moment beschreibt, in dem man sich Hals über Kopf verliebt, mit dem Wort „Freund“. Sagen wir, ich workshoppe das momentan noch.

Vielleicht lag es an diesem Mangel an fantasievoller Sprache, dass mich meine nächsten Schritte auf der Suche nach Freundschaften natürlich an den einfallslosesten Ort von allen führten: den App-Store meines Handys. Wie zu erwarten, gibt es zehnmal mehr Apps, um jemanden zum Vögeln zu finden, als jemanden, mit dem man das Spiegel-Selfie des potenziellen One-Night-Stands analysieren kann. Letztendlich ließ mich allein der Gedanke, ein Freundschaftsprofil anzulegen, nicht nur zurückschrecken, sondern trieb mich direkt ans andere Ende des Spektrums. Ich ging die Sache stattdessen komplett analog an! Wenn ich daran zurückdenke, wie ich in meiner Kindheit Freunde gefunden habe, war ein gemeinsames Interesse oder eine gemeinsame Aktivität der Schlüssel. Wie schwer konnte es schon sein, in einer Stadt mit über 100.000 Einwohnern jemanden zu finden, der meine aktuelle Obsession teilt: Französisch sprechen. Und so wurde mein Frankophilie-Club geboren. Sprachclubs sind super um Freunde zu finden, denn man trifft sich ja per Definition, um mit anderen zu sprechen. Ich bemühte sogar extra einen Papierdrucker bei uns im Späti, um Kopien eines liebevoll gestalteten Posters anfertigen zu lassen. Stolz hing ich mein Druckerzeugnis (oder, in gewisser Weise, auch mich selbst?) in lokalen Buchhandlungen und hübschen Cafés in meiner Nachbarschaft aus und lud andere Französischliebhaber ein, mich zu Spaziergängen und Gesprächen auf Französisch auf der Plaza de España in Cádiz zu treffen.

Habe ich deswegen mehrere Nachmittage allein auf der Plaza de España verbracht? Mais oui! Diesmal war ein Buch meine Rettung vor der sozialen Isolation. Nichts vermittelt dieses gewisse „Ich-wollte-hier-eh-nur-allein-auf-dieser-Bank-sitzen“-Etwas, so sehr wie ein Buch. Doch dann, an einem stürmischen Freitagnachmittag, unterbrach Ana meine Lektüre. Auf einer App hätten wir uns bestimmt nicht gegenseitig gelikt. Ich schätze, 40 Jahre Lebenserfahrung trennen uns. Aber im echten Leben verstehen wir uns irgendwie, sogar auf Französisch.

So, jetzt kann ich nicht mehr schreiben, ich mache mich gleich auf den Weg zu ihr. À plus!


Für diejenigen unter euch, die sich für die Studien interessieren, hier sind drei Podcasts, die ich in letzter Zeit zu dem Thema gehört habe. Sie alle beziehen sich auf diese nun schon 85-Jahre andauernde Harvardstudie: