Cadi, Cadi, Cadi

Eindrücke von Europa’s ältester Stadt aus meinem frisch gemieteten Sessel

Cadi: Bezeichnung der Provinz Cádiz im lokalen Akzent, wobei das letzte „z“ weggelassen wird.
Cadi, Cadi: Bezeichnung der Stadt Cádiz in der Provinz Cádiz.
Cadi, Cadi, Cadi: Bezeichnung des Stadtzentrums von Cádiz.

Ich bin offiziell in meiner Architectural-Digest-Ära gelandet. Woran merkt man das? Man erkennt es daran, dass man wichtige Lebensentscheidungen (wie zum Beispiel, ob man weiterhin versucht, mit seinem Freund an einem Ort zu leben, den man nicht mag, oder ob man aufgibt, weil die Liebe zur Großstadt so ein wesentlicher Teil der eigenen Identität ist, dass man sich an jedem anderen Ort in ein verbittertes Monster verwandelt, das ein Verhalten an den Tag legt, das so oder so jede Beziehung scheitern lässt) von der Inneneinrichtung des zukünftigen Mietobjekts abhängig macht. In meinem Fall brachte der Anblick von Wohnzimmerfliesen und das Angebot an Teezubehör in einer Idealista-Anzeige für eine möblierte Wohnung mit 12-Monatsvertrag in Cadi, Cadi, Cadi Diskussionen mit meinem Freund, darüber wo wir wohnen würden zu einem senfgelb-olivgrün gefliesten Ende. Und so landete ich in diesem Sessel in einem Stadtpalast aus dem 18. Jahrhundert an der Plaza de España in Cadi, Cadi, Cadi. Wenn ich neben dem einzigen Außenfenster unserer Wohnung sitze, das auf eine Seitenstraße des Hauptplatzes hinausgeht, kann ich die Stadt spüren, ohne das Haus verlassen zu müssen.

Wäre Spanien ein Mensch, wäre es kein Frühaufsteher. Die Eigenart der spanischen Zeitzone, mitteleuropäischer Zeit zu folgen, obwohl eigentlich Greenwich Mean Time gelten sollte (ein Überbleibsel von Francos Anbiederei an Hitler), zieht meine Lieblingszeit des Tages in die Länge: die Zeit vor Sonnenaufgang. Um 7 Uhr morgens sind die Lichtverhältnisse wie 6 Uhr. Wenn ich aufstehe, flutet also nichts außer den Straßenlaternen das Wohnzimmer und wirft streifige Schatten auf den Boden, während ich zu unserem Sessel tapse. Entschädigt die filmische Dramatik der Fliesen dafür, dass meine Füße vom kurzen Spaziergang mit Brotkrümeln und Sand bedeckt sind?

Ich spüre die Meeresluft an meinen nackten Schienbeinen und schätze die Fenstergitter, die ich sonst immer als beklemmend empfunden hatte. Leben mit offenen Fenstern ohne Einbruchsgefahr. Cádiz liegt auf einer Halbinsel, also ist man, egal wo man ist, nie weit vom Meer entfernt. Was sich romantisch anhört, bedeutet im wahren Leben nur eines: Rost. Ein ständiger Kampf für Autobesitzer in dieser garagenarmen Stadt. Irgendwie haben die Phönizier es versäumt, der Tiefgarage Priorität einzuräumen, als sie vor 3.000 Jahren mit dem Bau der Stadt begannen.

Ein Kratzen lässt mich in meinem Sessel verkrampfen. Die Fenstergitter schrecken nicht alle Bewohner dieser Stadt ab. Über ein Jahrzehnt in Wohnungen mit fraglicher Bausubstanz, haben meine Ohren darauf trainiert, das Trippeln von Mäusen hinter Fußleisten aus einer Meile Entfernung zu hören. Doch heute Morgen taucht kein einziger Schwanz aus der Dunkelheit auf. Und dem Spray in unserem Küchenschrank nach zu urteilen, müssen wir uns hier eher vor Kakerlaken fürchten.

Das morgendliche Gemurmel der Arbeiter an den Tischen unter unserem Fenster reißt mich aus meinen Nagetier-Grübeleien. Ihr Gespräch dreht sich unweigerlich um das Thema, das das Leben der meisten Menschen in einer Region beherrscht, die regelmäßig die nationalen und EU-Arbeitslosenquoten anführt: Arbeit. Ob sie welche haben werden und wenn ja, wie lange. Der Grund für ihre Angst, nämlich Geldmangel, ist der einzige Grund, warum ich hier sitzen kann, dank eines vergleichsweise großzügigen Fernvertrags für einen Job, der es mir in London lediglich ermöglichte, in Zone 3 zu hausen. Plötzlich fühle ich mich schlecht. Können sie von unten wohl meine nackten Füße sehen, die faul aus meinem Sessel hängen?

Versteckspiel

Der tägliche Hochdruckreiniger der Stadt jagt sie und meine moralischen Bedenken schließlich die Straße hinunter. Eines der größten Ärgernisse meines Freundes in London war, wie schmutzig die Straßen werden. Aber das Einzige, was ich sehe, wenn ich die glänzenden Gassen von Cádiz betrachte, ist Verschwendung. Wie kann es sich ein Ort mit solchem ​​Wassermangel leisten, täglich Tausende Liter auf die Straße zu pumpen?

Was der LKW nicht wegspült, ist der Geruch des Weihrauchs, den unsere Nachbarin mit religiöser Pünktlichkeit verbrennt. Vermischt mit dem Geruch meines Kaffees bleibt er uns bis zum Vormittag erhalten. Nach Stunden unfreiwillige Beweihräucherung bin ich fast dankbar für den Staub von der Baustelle im gegenüberliegenden Palacio, der durch unser Fenster dringt, unsere Atemwege füllt und alles mit einem dünnen gelben Film überzieht. Ein Hotelanbau. Ob Geld oder Gott irgendwem wird hier immer gehuldigt.

Der Baulärm wird zum Hintergrund für deutsche, französische und englische Sprachfetzen, die von Reisegruppen oder Paaren zu uns heraufwehen, die „in diese malerische kleine Straße einbiegen, um den Touristenmassen zu entkommen“. Cádiz’ Plaza de España ist in vielerlei Hinsicht das Ergebnis dieser unerschrockenen Authentizitätsjäger, deren Wunsch, das „echte“ Cádiz zu erleben, die ehemaligen Wohnhäuser rund um den Platz ausgehöhlt hat, um Platz für Touristenwohnungen zu schaffen, bis sich niemand mit einem „authentischen“ andalusischen Gehalt mehr leisten konnte, hier zu wohnen. Es scheint, als sei unser Palacio eine der wenigen verbliebenen Hochburgen gegen die Touristifizierung der ältesten Teile der Stadt. Und das mit Stolz, wenn man nach der Vehemenz geht, mit der unsere Vermieterin erklärt hat, dass es in unserem Gebäude keine Touristenwohnungen gibt (wir wohnen neben ihrer Schwägerin, auch bekannt als die Weihräucherin). Ganz gleich, aus welchen Gründen man über die Plaza de España schlendert, das Geräusch der über den Platz gezogenen Rollkoffer übertönt jede Stimme (während ich das hier schreibe, rollt wieder ein Koffer vorbei!!).

Ihr Echo ist das einzige Geräusch, das gelegentlich die Stille durchbricht, wenn sich nachmittags die Siesta über den Platz legt. Die Einheimischen ziehen sich hinter ihre Mauern zurück, wenn die heißeste Zeit des Tages beginnt. Ich kann die Hitze zwar nicht ertragen, aber ich liebe die unheimliche Stille, die sie erzeugt. Nicht einmal der Zitronenbaum vor unserem Fenster raschelt. Die beigefarbene Hausfassade gegenüber hebt sich sanft vom sengend blauen Himmel ab. Als wären die Gebäude lethargisch. Ich glaube, das ist der Grund, warum der Akzent von Cádiz von Auslassungen geprägt ist. Die Wortenden werden meist verschluckt. Die Hitze lastet wie ein Gewicht auf der Zunge und reduziert das, was man sagt, auf das Nötigste.

Das Geräusch von Wasser aus einer wiederverwendeten Plastikflasche, das auf das Nachmittagspipi eines Dackels gespritzt wird, erweckt den Platz zu neuem Leben. Nur so lässt sich der Gestank von getrockneter Pisse in einer Stadt mit 300 Sonnentagen im Jahr bekämpfen. Rücksichtsvoll. Normalerweise folgen folkloristische Tänze, ein Zauberer oder ein Orchester, das Filmmusik spielt. Es sind die Geräusche der von der Stadt organisierten Aktivitäten, die, wie meist deutlich markiert, von Fondos de la Unión Europa unterstützt werden.

Ich möchte glauben, dass dies eine Weise ist, der lokalen Gemeinschaft etwas zurückzugeben, nachdem die Stadt eine Rekordzahl an Genehmigungen für Kreuzfahrtschiffe erteilt hat, in Cádiz anzulegen, wodurch die engen Gassen der Altstadt in immer hektischerem Tempo mit Tagestouristen überflutet werden. Da ich von unserer Wohnung aus arbeite, bekomme ich die Menschenmassen glücklicherweise nie zu Gesicht, denn das Ende meines Arbeitstages fällt fast immer mit dem lauten Horn zusammen, das die haushohen Schiffe zum Abschied ertönen lassen.

Abendessenszeit kündigt sich mit dem lauten Schaben an, das entsteht wenn das Personal des im Michelin-Führer gelisteten Restaurants unter uns anfängt Tische rauszustellen. Mann weiss direkt, dass es im Michelin-Führer steht, weil es neben unseren Fliesen das einzige Lokal auf dem Platz ist, das buchstäblich aussieht, als wäre es einem Arch Digest Magazin entsprungen. Die Stimmen der Gäste gehen in das Gezanke der Teenager über, die an den Tischen bis spät in die Nacht herumlungern. Ihre Dramen begleiten uns, bis wir uns ins Schlafzimmer zurückziehen, den Ort, der am weitesten vom Fenster zum Platz entfernt ist, bis zum nächsten Tag.

Buenas noches

Als ich nach unserer ersten Woche in Cadi, Cadi, Cadi meine schwarzen Füße ins Bett hebe, ist das Fazit klar: Wir brauchen einen Staubsaugerroboter.