Ich habe das Leben als digitale Nomadin ausprobiert, damit ihr es nicht tun müsst.
Quedarse: bleiben Quiero quedarme en la cama / aquí para vivir. – Ich möchte im Bett bleiben. / Ich möchte hier wohnen (bleiben).
Quedar con alguien: sich mit jemandem treffen He quedado con Claudia. – Ich treffe mich mit Claudia.
Ich höre den Ausdruck „digitale Nomadin“ und sehe ein Yogalehrer-Pärchen auf YouTube mit dem so-klischeehaft-es-ist-fast-schon-originellen Namen „Boho Beautiful“, mit dem ich während der Covid-Lockdowns Yoga machte. Während ich zu Hause festsaß, teilten sie mit mir Glamour und Gloria des Stretchings an den Stränden dieser Welt, mit nichts als einem pastellfarbenen Trainingsoutfit bewaffnet. Ich beneidete sie zwar nicht um die Orte, die sie dank ihres „digitalen Yogi“-Lebens zu sehen bekamen (ich glaube, ich habe bereits ausführlich dargelegt, dass ich Strände nicht mag), aber ich beneidete sie um die coole Mischung aus Weltgewandtheit und Freiheit, die ihr Lebensstil suggerierte.
Ein paar Jahre später. Ein familiär bedingter Umzug in den Vorort einer andalusischen Stadt stürzt mich in ein tiefes emotionales Loch. Ich sehne mich nach meinem verlorenen Londoner Großstadtleben. Glücklicherweise habe ich einen Arbeitsvertrag, der es mir ermöglicht, von allen EU-Ländern aus zu arbeiten, solange ich eine bestimmte Zeitspanne nicht überschreite. So entstand die Idee, einen Sommer lang von einer EU-Hauptstadt zur nächsten zu ziehen. Ein steuerrechtlich-kompatibles Nomadentum als Gegenmittel zum langweiligen Kleinstadtleben.
Von einer die auszog … Anfang Juni machen sich mein Freund und ich auf den Weg zur leeren Wohnung meiner Freundin in Madrid. Trotz meines 22,5 kg schweren Koffers fühle ich mich leicht. Mit meiner Yogamatte und meinem E-Reader im Gepäck bin ich mir sicher, dass ich überall wohnen kann, ohne auf meine liebsten Freizeitbeschäftigungen verzichten zu müssen. Diesen Sommer ist mein Zuhause überall dort wo es über einer Million Einwohnern gibt und genug Platz für ein Savasana.

Madrid Nach ein paar Wochen in Madrid lasse ich den Gemüseschäler meiner Freundin über eine Aldi-Karotte gleiten und denke, dass dies die Magie des Lebens hier besser verkörpert als jedes der angesagten Hauptstadt-Cafés, in denen ich in den letzten Wochen gearbeitet habe. Statt der üblichen geraden Schalen zaubert das Werkzeug meiner Freundin gekräuselte Karottenspaghetti hervor, die mein Abendessen aufpeppen und nach Großzügigkeit schmecken.

Berlin Im Juli entfliehen wir Madrids endlosen Hitzewellen und kühlen uns in Deutschland mit einem richtigen Urlaub ab. Unsere Unterkunft heißt „Stayery“. Das unverbindliche Namensende und das als Coworking-Space gestaltete Foyer verkörpern treffend die Volatilität des digitalen Nomadenlebens, das ich mir vorgestellt hatte. In unserer winzigen provisorischen Küche verliebe ich mich in eine futuristische Knoblauchpresse. Die Knoblauchzehen platzen auf wie die Wochen konzentrierten Lebens, die vor uns liegen. Beim Treffen mit meinen neu-Berliner Schulfreunden wird mir klar, dass egal was für eine WLAN-Verbindung man hat, das Wichtigste ist, Menschen um sich zu haben, denen es nichts ausmacht, wenn man nach Knoblauch stinkt.
Amsterdam Wir beenden unseren Nomadensommer im August, den wir in der Wohnung meiner Kollegin in Amsterdam verbringen, während sie im verreist ist. Vier Wochen lang tummeln wir uns in digitaler Nomadenmanier in den coolsten Bars. Das Highlight ist jedoch die niederländische Glasfaserkabel-Saga, wie ich sie nenne. Drei Wochen lang versucht der Energieversorger KPN neue Kabel in unserem Wohngebäude zu verlegen. Dafür müssen alle drei Mietparteien zu Hause sein und Zugang zu ihren Unterkünften gewähren. Nach intensiven Abstimmungen über Ozeane und Sprachbarrieren hinweg mit anderen Mietern, dem Hausbesitzer und dem KPN-Elektriker gipfelt das Abenteuer in einer Genugtuung, die man nur dann bekommt, wenn man sich gemeinsam in eine Aufgabe kniet.


Jeder kann ins Van Gogh Museum gehen, aber ich beherrsche jetzt die Kunst, ein Glasfaserkabel über einen niederländischen Gaszählerkasten zu verlegen.
Zurück nach Cádiz Während ich dies im Flugzeug zurück nach Andalusien schreibe, kann ich nicht sagen, dass ich weder bereit bin auf Dauer aus dem Koffer zu leben, noch in Cádiz heimisch zu werden. Aber ich habe jetzt eine neue Wahrnehmung dafür, wie gut es ist sich an Menschen und Orte zu binden, egal wie klein sie auch sein mögen. Also bin ich bereit Cádiz eine zweite Chance zu geben. Und wer weiß, vielleicht lerne ich sogar eine neue Freundin kennen, mit der ich einen Karottenschäler teilen kann.